Illustrierte Kürzestgeschichten
Inspiriert durch gefundene Einkaufszettel –
wöchentlich erzählt von März 2019 bis Juli 2020.
40
Er sei zwar potentieller Erbe, habe aber,
bevor es zur Testamentöffnung komme, schon einmal selber die Schmuckstücke der
verstorbenen Tante Siggi sicherstellen wollen. Er habe ja einen
Wohnungsschlüssel gehabt, und er sei dann sehr schnell fündig geworden, denn
Tante Siggi habe all ihren Schmuck in einer weißen Schmuckschatulle – fünf
Fächer und Spiegel im Deckel – in ihrem antiken Sekretär aufbewahrt. Er habe
die Schmuckschatulle an sich genommen und nach Hause verbracht.
Schon im ersten Moment habe er daran gedacht,
den Schmuck zu Geld zu machen. Er verstehe zwar nichts von Schmuck, aber er
habe sich an die Erzählungen von Tante Siggi erinnert, wonach sie und ihr Mann,
der schon vor Jahren verstorbene Onkel Gustav, auf ihren Reisen viel Geld für
ausgefallenen Schmuck ausgegeben hätten.
Da sein Freund Christian, mit dem er fünf
Jahre zusammen gelebt habe, ihn verlassen habe, sei er auf die Idee gekommen,
sich mit einem neuen schönen Hobby über seinen Verlust und seine abgründige
Traurigkeit hinweg zu trösten. Er habe Uhren reparieren wollen und für dieses
Hobby viel Geld gebraucht, denn er habe sich ja die ganze Ausrüstung und
Einrichtung erst anschaffen müssen. Die zur Grundausstattung gehörenden
Werkzeuge wie Werkhalter, Schraubendrehersatz, Federstegwerkzeug, Staubbläser,
Pinzetten, Uhrmacherlupen, aber auch Entmagnetisierer, Dichtigkeitsprüfgerät, und
nicht zu vergessen, Zeigerabheber, seien zwar alle nicht so teuer, kosteten
aber doch zusammen eine ganze Menge. Zudem brauche man auch einen Satz Öle,
spezielle Reinigungsmasse und Öler. Und da er ja zum Einstieg auch eine große
robuste Taschenuhr zum Zerlegen gebraucht habe, zwar günstig im Preis, aber
auch nicht ganz billig, so habe er also eine größere Summe benötigt.
Schließlich sei noch ein Tischaufsatz nötig gewesen, ein normaler Tisch sei ja
zu niedrig.
Also habe er Tante Siggis Schmuck, um keinen
Verdacht aufkommen zu lassen, in drei Teile geteilt und drei verschiedenen
Juwelieren zum Kauf angeboten. Das habe überraschend gut geklappt, die drei
Juweliere hätten ihm über anderthalbtausend Euro für Tante Siggis Schmuck
gezahlt.
Dieses Geld habe er dann sofort in die Grundausstattung investiert und mit dem Uhren-Zerlegen und -Zusammenbauen begonnen. Die Grundfertigkeiten habe er sich durch das genaue Betrachten der Uhrenbauerkanäle auf Youtube erworben.
Seitdem er Uhren zerlege, wieder zusammenbaue,
reinige und repariere, sei er mit seinem Leben wieder zufrieden. Insofern bereue
er auch nicht, was er getan habe. Schließlich habe er das Geld für den
gestohlenen Schmuck von Tante Siggi gut angelegt. Den Rest des Schmuckgeldes
wolle er übrigens dem CBM, der Christoffel-Blindenmission, spenden.