Illustrierte Kürzestgeschichten
Inspiriert durch gefundene Einkaufszettel –
wöchentlich erzählt von März 2019 bis Juli 2020.
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Beim schlaftrunkenen Gang in die Küche fiel
ihr Blick auf den großen Hibiskus neben dem Wohnzimmerfenster. Die frühmorgendlichen
Sonnenstrahlen trafen den Baum so, dass viele seiner Blätter grüngolden
aufleuchteten. Dazu die Schatten, dunkle Kontraste. Aglaia war verblüfft, sie ging
zurück und griff ihr Smartphone, um diesen grüngolden-schwarzen Effekt zu
fotografieren, für ihr Tagebuch. Aglaia liebte plötzliche ästhetische Überraschungen
im Alltag.
Neben den Teepott und die ausgebreitete Zeitung
schüttete sie aus dem Glas mit Nüssen, Mandeln, getrockneten Kirschen und
Pflaumen, die Mischung, die immer auf dem Tisch stand, auf die Tischplatte, zog
den Schreibblock heran und notierte, was sie heute einkaufen wolle. Was sie
notiert hat, braucht sie nicht mehr im Kopf zu haben.
Sie sah die gedruckten Sonnenblumen auf dem
Zettel und sie erinnerte sich, dass ihr die Apothekerin diesen Schreibblock für
zwei Euro aufgeschwatzt hatte. Die beiden Euros seien eine Spende für die Albert
Schweitzer Kinderdörfer, Lebensgemeinschaften für Kinder, die nicht in ihren
Herkunftsfamilien leben könnten. Na, gut.
Eigentlich war sie in die Apotheke gegangen,
um zu sehen, ob die Apothekerin neue Pflaster hereinbekommen hatte.
Aglaia war stolz auf ihre Plastersammlung. Vor etwa zehn Jahren hatte sie angefangen, Kinderpflaster mit Motiven, sogenannte Trostpflaster, zu sammeln, und jetzt besaß sie die wahrscheinlich größte Kinderpflastersammlung der Welt, vier Regale mit Wundpflastern. Kinderpflaster für Mädchen und Jungen. Wundschnellverbände mit Motiven wie Fußball, Micky Maus, Piraten und Goldmünzen, mit Robotern, Engeln, Schmetterlingen, einfach mit all den Motiven, mit denen man Kinder bediente, um ihnen und ihren Eltern das Geld aus den Taschen zu ziehen.
Aber kritische Überlegungen zu ihren Pflastern
verbot sich Aglaia. Ihr kam es darauf an, die Sammlung zu vervollständigen.
Neuerdings sammelte sie auch die hübschen Blechdosen für Pflaster.
Von der Apothekerin, zu der Aglaia ein freundschaftliches
Verhältnis hatte, hatte sie erfahren, dass in USA neuerdings Design-Pflaster mit Jesus-Motiven
herausgekommen seien.
Die wollte sie sich bei Amazon bestellen und darum notierte
sie gedankenverloren wieder Pflaster.
Bevor sie die Zeitung aufschlug, stellte sie
sich ein Jesus-Pflaster vor.
Toll! Ein Jesus-Pflaster!
Eine bessere Idee konnte es nicht geben!
Unser Heiland, das Pflaster, die aufgelegte
Hand!
Das Wunder.
Das Wundheilpflaster.
klick!
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