Donnerstag, 9. Dezember 2021

 Illustrierte Kürzestgeschichten

Inspiriert durch gefundene Einkaufszettel –

wöchentlich erzählt von März 2019 bis Juli 2020.

 

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 Stichwort des gemeinsamen Glücks

 

Eine junge, handwerklich-künstlerisch begabte Berlinerin, die sich während ihrer Schulzeit permanent mit ihrem Vater gestritten hatte, wollte nach ihrem Abitur einfach nur weg von ihrer Familie, zog hopplahopp zu Hause aus, mietete eine Ein-Zimmer-Wohnung in einem anderen Bezirk und musste von Stund an jobben, um ihre Wohnung finanzieren zu können.

Flora, die sich eigentlich einem künstlerischen Studium widmen wollte – vielleicht Bühnenbild, Kostümbildnerei, Modedesign –, merkte jetzt, dass sie den Job als Kellnerin in einer Eisdiele so sehr genoss, dass sie ein Studium erst einmal hintan stellte. Die freundliche Kommunikation mit der sehr unterschiedlichen Kundschaft, die an ihr hängenden Blicke der jungen Männer, die zu Dutzenden sich mit ihr verabreden wollten und von denen etliche nach Dienstschluss auf sie warteten, um sie nach Hause zu begleiten –, das alles gefiel ihr sehr. Ja, ihr Leben als Berliner Eisdielenjobberin mit selbstfinanzierter Wohnung bereitete ihr soviel Daseinsglück, dass sie ihre Vorstellungen von einem Kunststudium aufgab.

Aber ihr Interesse an selbstbestimmtem kreativen Arbeiten erlosch nie gänzlich, was daran zu erkennen war, dass sie eines Tages begann, Jahr für Jahr Kurse in Malen, Zeichnen, Weben und Werken in einem Werkhof in Westdeutschland zu nehmen.

Nun geschah es, dass sie sich mit einem der jungen Männer, der, wie zuvor viele andere, vor der Eisdiele auf sie gewartet hatte, um sie nach Hause zu begleiten, einem attraktiven Luftfahrtingenieur, so gut unterhielt, dass sie ihn vor ihrer Haustür auf einen letzten Kaffee in ihre Wohnung mit herauf bat.

Nachdem Joachim den Kaffee getrunken, etwas verlegen neben ihr gesessen, mit ihren langen Haaren in seinen Fingern gespielt und sie zum ersten Mal geküsst hatte, kam es, wie es kommen musste.

Sie wurden ein Paar.

Ob der starken Übereinstimmung ihrer Interessen, Werturteile und Vorlieben schätzten sich beide glücklich. Es passte halt alles, bis auf das Eine: Er war Fleischesser, sie Vegetarierin.

Achtsam würde sie ihn nach und nach von der Fleischesserei wegführen, ihn passiv missionieren, nahm sie sich vor.

Und für ihr erstes gemeinsames Abendessen bereitete sie eine Gemüsepfanne, die Joachim lebenslang unvergesslich blieb. Ein leises von ihm oder von ihr gehauchtes, unverständliches „Gemüsepfanne“, erinnerte beide fortan an diese allererste Stunde ihres gemeinsamen Glücks.

 

 

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