Illustrierte Kürzestgeschichten
Inspiriert durch gefundene Einkaufszettel –
wöchentlich erzählt von März 2019 bis Juli 2020.
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Lukas, ein sechsjähriger Schulbub im 7. Wiener Bezirk, der zwar erst das erste Schuljahr besucht, aber schon sehr gut lesen und schreiben kann, hat seit einiger Zeit besonderes Vergnügen daran, die Einkaufszettel für seine Mutter zu schreiben.
Am liebsten schreibt Lukas am Küchentisch,
während seine Mutter, eine berufstätige Software-Entwicklerin, das Essen
zubereitet oder die Spülmaschine aus- oder einräumt. Lukas schreibt dann mit
Druckbuchstaben, die er unter den Augen von Zita, seiner Schwester, schon vor
Beginn seines ersten Schuljahres oft geübt hat, sorgfältig und langsam auf, was
ihm seine Mutter Theresa aufzählt: Naturjoghurt, gefrorene Himbeeren, Zitronen im
Netz, Geheimratskäse, Schlagobers, Marillen, Topfen usw.,
Lebensmittel, die seine Mutter später bei BILLA, dem Supermarket auf der
Zieglergasse einkaufen will. Zum Schluss des Einkaufszettelschreibens darf
Lukas noch etwas für sich selbst auf den Zettel schreiben. Also notiert er Sportgummi, seine beliebten Egger Fruchtgummis. Und auch ein Herzchen fügt er
hinzu. Das hat er bei Zita abgeguckt, denn die ist verliebt und zeichnet seit
neuestem dauernd Herzchen überall hin.
Da Lukas Mutter Wienerin ist, die während
ihres Studiums Prof. Dr. Florian H. aus Berlin, Informatikwissenschaftler der
Medizininformatik, kennengelernt und 2010 geheiratet hat, sind Lukas und seine
Schwester von Geburt an Österreicher und Deutsche, was besonders Lukas so gut
gefällt, dass er es bei jeder Gelegenheit allen Leuten erzählt.
Lukas hat in seinem
Kindergarten an dem Projekt „Dialektförderung“
teilgenommen und kann daher etliche spezielle wienerische Wörter sehr gut
aussprechen. Mit seinem Weanerisch entwickelt er sich mittlerweile zu einem
Medienprofi, der weiß, womit man bei Erwachsenen Eindruck schinden kann.
Als sein Berliner Opapa im September acht Tage
zu Besuch bei ihnen wohnt, bittet Lukas ihn am ersten Morgen, ihm „Oachkatzlschwoaf“1 nachzusprechen.
Der Opapa schafft das nicht – aber er bittet Lukas, ihm schnell hintereinander nachzusprechen:
„Im
dicken dichten Fichtendickicht nicken dicke Fichten tüchtig.“
Nach dem dritten Versuch hat Lukas es drauf: „Im dicken dichten Fichtendickicht nicken dicke Fichten
tüchtig.“
„Kann ich“, sagt Lukas.
[1] österreichisch: Oachkatzlschwoaf = Eichkätzchenschweif
= deutsch: Eichhörnchenschwanz
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