2018-11-15 Titelbild-Entwurf für Book II der Sozialstation Kunst
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Kleinformatige Malerei auf Tageszeitungen - gemalt 1986-1989 und von 1990-1999 und dann und wann neue Zeichnungen
Illustrierte Kürzestgeschichten
Inspiriert durch gefundene Einkaufszettel –
wöchentlich erzählt von März 2019 bis Juli 2020.
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BJØRK
Torid und Oskar, die beide wegen Corona seit
Monaten im Homeoffice arbeiten mussten, wohnten nicht wie vor Corona-Zeiten in
Oslo, sondern im Sommerhaus von Torids Eltern in Ørje, nahe der schwedischen
Grenze, direkt an einem See gelegen, wunderschön, mit Wiese, Birken,
Anlegesteg.
Da es am alten Sommerhaus von Torids Eltern immer
etwas zu reparieren gab, hatte Oskar sich bei der Fahrt Oslo - Ørje in Hagan, der Würth Norge-Zentrale, einer der größten über ganz Norwegen
verstreuten Würth-Niederlassungen,
mit einem Werkzeugkasten und Kleinmaterial wie Schrauben und Nägeln ausgestattet.
Im Bootsschuppen hinter dem Sommerhaus hatte er sich eine kleine Werkstatt
eingerichtet, um z.B. mit den Stämmen gefällter junger Birkenbäume eine
gemütliche Freiluftsitzgarnitur bauen zu können. Später sah er, dass es auch einen näher gelegenen Würth-Werkzeugladen gab.
Torid freute sich jedes Mal über die von Oskar
aus den Würth-Werkzeuggeschäften
mitgebrachten Notiz-Zettelblocks, nahm sie regelmäßig in Beschlag und schrieb
ihre Einkaufslisten darauf.
Torid und Oskar hatten einander in Köln kennen
und lieben gelernt. Oskar hatte nachdem Studium der Sozialwissenschaften als
Mitarbeiter einer Agentur gearbeitet, die während der Kölner Möbelmesse Design-Ausstellungen
in Kölner Möbelläden organisierte und dazu einen Katalog herausgab.
Torid, die in Oslo, Oxford und Köln
Wirtschaftwissenschaften studiert hatte und mit einer glänzenden Karriere als
Managerin in der norwegischen Wirtschaft rechnen konnte, wollte unbedingt
zurück nach Norwegen. Schließlich brachte sie Oskar dazu, nach Norwegen
auszuwandern, wo sich Oskar überraschend schnell integrierte. In Oslo fand er
eine Stelle in einem kleinen Start-up-Unternehmen für Sozialdesign. Wer ihn in
Oslo erlebte, glaubte, Oskar sei schon immer Norweger gewesen.
Während der Homeoffice-Monate in Ørje begriff
Oskar, worauf es ihm im Leben wirklich ankam: Auf Kreativität, auf seine
Fähigkeit, schöpferisch und gestalterisch tätig zu sein, Dinge zu schaffen, die
originell und dabei nützlich sind.
Also erwarb er eine Lizenz zum Fällen junge Birkenbäume
und begann in seiner kleinen Werkstatt mit der Produktion von Birkenmöbeln,
wobei er auf die Präsentation der weiß und seidig glänzenden Birkenrinden Wert
legte, was Oskars Birkenmöbeln eine elegant nordische Optik verlieh.
Nach einem freundlichen TV-Bericht bei NRK1 –
ABC Nyheter –, der Oskars Kreationen in Norwegen bekannt machte, träumte er
davon, dass aus diesem Anfang eines Tages „BJØRK“
werde, die norwegische Konkurrenz zu IKEA und
dass Torid ihm bei der Entwicklung dieses Unternehmens zur Seite stehen werde.
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Sie begann an der FU mit dem Studium Geowissenschaften.
Bodenkunde, Fossilienkunde, Erdgeschichte, Gesteinskunde, Kartografie, für all
das hatte sie sich in den letzten beiden Jahren sehr interessiert.
Oberstudienrat Dr. Nussbaum hatte ihr das alles nahegebracht, und in
Mathematik, Physik und Chemie hatte sie auch sehr gute Noten.
Aber nachdem sie sich ihre Seitenflügelwohnung
wohnlich eingerichtet hatte, spürte sie, dass es ihr genauso ging, wie etlichen
ihrer Mitschülerinnen. Sie
möchte erstmal ein Jahr lang reisen und die Welt erkunden, ehe sie mit dem
Studium begänne. Am schönsten fände sie es, wenn sie alle
Erdteile besuchen könnte. Geld hatte sie gespart, und wenn es nicht reichte,
könnte sie ja jobben.
Da sie Spanisch gelernt hatte, wollte sie sich
zu erst in Mexiko umsehen, im zentralen Hochland mit seinen Vulkanen und
Maya-Ruinen wandern, dann im Norden Mexikos bei Casas Grande die Bergwälder und
prähistorischem Felsmalereien erkunden und schließlich über Yucatán mit seinem tropischen Klima nach
Mexiko-Stadt zurückkehren. Sie bereitete sich sehr gut vor, las viel über Land
und Leute, ließ sich Gelbfieber impfen und kaufte selbst eine Menge Mückenschutz ein,
schlug die Warnungen ihrer Eltern und die des Auswärtigem Amtes wegen der Drogenkriege
in den Wind, wollte ihre Wohnung gerade untervermieten und hätte sich das
Flugticket gekauft, wenn nicht just Ende Februar die Corona-Pandemie bedrohlich
aktuell geworden wäre.
Jetzt hing sie fest in Berlin, in ihrer kleinen Einzimmerwohnung mit Küche, Flur und Bad im Seitenflügel in der Schillerpromenade. Die FU-Lehrveranstaltungen in Geowissenschaften liefen in digitaler Form ab. Es gab keine Präsenzveranstaltungen. Immerhin konnte sie in den Parks und im Grunewald joggen – aber was war das verglichen mit ihrer geplanten Abenteuerreise durch Mexiko.
Sie fühlte sich sehr
schlecht, hatte Gliederschmerzen und das Gefühl, einen grippalen Effekt zu haben.
Sie brauchte also ein Erkältungsbad und Nasenspray gegen ihren akuten Schnupfen. Und weil alles
unendlich frustrierend war, brauchte sie jetzt Chips, Schwipp-Schwapp
und knisterndes Kaktuseis. Müllbeutel. Küchenpapier
und Schwämme
müssten auch her, um endlich wieder die Küche aufzuräumen, sobald es ihr etwas
besser ging.
Im Flur sah sie die
vier Dosen tropentauglichen Insektenschutz und knochentrocken realistisch fragte
sie sich: „Michelle, glaubst Du, dass Du je nach Mexiko kommst?“
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Ioana und Sabije
Hinter diesem kleinen Zettel verbirgt sich ein
großes gemeinsames Essen, das Fastenbrechen nach Sonnenuntergang.
Ioana, eine stolze Pomakin hat diesen
Einkaufszettel geschrieben, damit Gergana genau weiß, was sie für ihre Mutter
einkaufen soll. Iona will Ramadan-Suppe
mit Kichererbsen, Börek mit Feta, gefüllte
Paprika mit Hackfleisch, Maisgries mit Pinienkernen,
Frauenschenkel-Köfte und knusprige Geflügelstreifen zubereiten. Zum Abschluss
soll es Engelshaar-Desert geben. Ioanas dreißigjährige Tochter Gergana hilft
bei der Zubereitung. Eingeladen sind die pomakischen Freunde in Berlin.
Ioana putzt schwarz in verschiedenen, über ganz
Berlin verteilten Wohnungen, meistens zwei bis vier Stunden in jeweils zwei
Wohnungen pro Tag. Da alle ihre Auftraggeber viel mehr als den deutschen Mindestlohn
zahlen, verdient sie ziemlich gut und kann einiges sparen. Seit fast zwölf
Jahren putzt Ioana in Berlin und versorgt so die große Familie bei Plowdiw.
Alle drei Monate fährt sie im Sammelbus nach Plowdiw. Dann wird sie in Berlin
von einer ihrer drei Töchter abgelöst. Aber Dara fällt dieses Jahr aus, weil
sie ein Baby erwartet.
Ioana wohnt mit Gergana und deren Freund Todor, der als „Mann für alles“
eine gute Stelle bei einem Berliner Altbausanierer hat, in einer kleinen gemeinsamen
Wohnung, die ihnen ein bulgarischer Arzt ziemlich teuer vermietet.
Ioana trifft wenigstens einmal im Monat ihre alte Freundin Sabije aus
der Nähe von Plowdiw, ebenso Pomakin und Putzfrau. Sie treffen einander in
ihren kleinen Wohnungen. Aber wenn es draußen schön ist, treffen sie sich im
Körnerpark. Leise singen sie dort im Park ihre Volkslieder. Einmal
haben sie aufgezählt, wie viele pomakische Volkslieder sie singen können. Es
waren 136!
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