Illustrierte Kürzestgeschichten
Inspiriert durch gefundene Einkaufszettel –
wöchentlich erzählt von März 2019 bis Juli 2020.
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Felix’ Bericht von der
Coronafront
Felix
wundert sich, dass ihm nichts einfällt. Vielleicht liegt es am Social
Distancing. Frustriert geht er in die Küche. Gut wäre, wenn er jetzt einen
Redbull Energy Drink hätte. Er gießt sich einen Nescafé auf, sieht den Einkaufszettel
und schreibt noch hinzu: Redbull, Öl, Baguette Kräuter.
Felix liest Zeitung: Auf jeder Seite Corona.
Von geschlossenen Schulen, Universitäten, Fußballarenen, Museen, Opern-,
Konzert- und Schauspielhäusern, Kinos, Kitas, Spielplätzen und Schwimmbädern,
Kirchen, Synagogen, Moscheen und Kneipen, Clubs, Bars und Bordellen – alles ist
zu. Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Aus allen Teilen der Welt
gibt es permanent Corona-Nachrichten.
Verwundert fragt man sich, warum Afrika so relativ
wenig von der Pandemie betroffen ist.
Felix müsste einkaufen. Immerhin sind Supermärkte,
Apotheken, Drogerien, Tank- und Poststellen, Banken und Friseure noch offen.
Felix merkt, dass ihm nichts mehr einzufallen
braucht, denn das Leben mit dem Coronavirus schreibt die Geschichten, die man
sich bisher nicht vorstellen konnte, die jetzt zu Sondersendungen in allen
Radio- und Fernsehprogrammen führen.
Eigentlich, denkt Felix, genügen Stichworte,
das ganze Ausmaß der Pandemie zu charakterisieren: Selbstbeschränkung,
Mobilitätseinschränkungen, Ausgangssperren, Grenzkontrollen, Grenzschließungen,
Einreisestopps, Auslandsreisewarnungen und Reiserückholaktionen, ungehinderter
Warenverkehr, systemrelevante Grundversorgung, Weltmärkte, drastische
Zinssenkungen, Absturztage, DAX-Verluste, Milliardenverluste, Milliardenhilfspakete,
Produktionseinstellungen, Filialenschließungen, Homeoffice, Videokonferenzen,
digitales Lernen und verschobene Abiturprüfungen, Kurzarbeiterregelungen,
Pleiten – aber auch: Solidarität. …
Felix sieht im TV, dass Covid-19, die vom
Virus verursachte Lungenkrankheit, besonders schlimm in Italien wütet und sehr
viele Menschen daran sterben, das dass medizinische Personal in den Intensivstationen
der Kliniken am körperlichen und seelischen Limit arbeitet. In diesem
Zusammenhang lernt Felix das Wort „Triage“ kennen. Es kommt aus der
Militärmedizin und meint die Auswahl der Betroffenen zur Behandlung in
Großschadensfällen.
So schwer die Situation für die Italiener auch
sein mag, umso leichter sind die Videos, die auf Twitter und Facebook um die
Welt gehen: Die Leute in den Sperrzonen von Rom, Turin, Mailand und Neapel
stehen singend an ihren Fenstern oder auf ihren Balkon und trotzen der
Isolation mit ihren straßenweiten Chören. Balconi d’Italia in musica! Das
amüsiert Felix.
Rührend auch zu sehen, wie letzten Sonntag
Papst Franziskus zu Fuß alleine – hinter ihm in gebührendem Abstand fünf
Sicherheitsleute – vom Vatikan durch eine menschenleere Straße in die Kirche
San Marcello al Corso geht, um vor dem Pestkreuz für ein Ende der
Corona-Pandemie zu beten.
klick!
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