Mittwoch, 19. Januar 2022

 Illustrierte Kürzestgeschichten

Inspiriert durch gefundene Einkaufszettel –

wöchentlich erzählt von März 2019 bis Juli 2020.

 

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Felix’ Bericht von der Coronafront

 

Felix wundert sich, dass ihm nichts einfällt. Vielleicht liegt es am Social Distancing. Frustriert geht er in die Küche. Gut wäre, wenn er jetzt einen Redbull Energy Drink hätte. Er gießt sich einen Nescafé auf, sieht den Einkaufszettel und schreibt noch hinzu: Redbull, Öl, Baguette Kräuter.

Felix liest Zeitung: Auf jeder Seite Corona. Von geschlossenen Schulen, Universitäten, Fußballarenen, Museen, Opern-, Konzert- und Schauspielhäusern, Kinos, Kitas, Spielplätzen und Schwimmbädern, Kirchen, Synagogen, Moscheen und Kneipen, Clubs, Bars und Bordellen – alles ist zu. Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Aus allen Teilen der Welt gibt es permanent Corona-Nachrichten.

Verwundert fragt man sich, warum Afrika so relativ wenig von der Pandemie betroffen ist.

Felix müsste einkaufen. Immerhin sind Supermärkte, Apotheken, Drogerien, Tank- und Poststellen, Banken und Friseure noch offen.

Felix merkt, dass ihm nichts mehr einzufallen braucht, denn das Leben mit dem Coronavirus schreibt die Geschichten, die man sich bisher nicht vorstellen konnte, die jetzt zu Sondersendungen in allen Radio- und Fernsehprogrammen führen.

Eigentlich, denkt Felix, genügen Stichworte, das ganze Ausmaß der Pandemie zu charakterisieren: Selbstbeschränkung, Mobilitätseinschränkungen, Ausgangssperren, Grenzkontrollen, Grenzschließungen, Einreisestopps, Auslandsreisewarnungen und Reiserückholaktionen, ungehinderter Warenverkehr, systemrelevante Grundversorgung, Weltmärkte, drastische Zinssenkungen, Absturztage, DAX-Verluste, Milliardenverluste, Milliardenhilfspakete, Produktionseinstellungen, Filialenschließungen, Homeoffice, Videokonferenzen, digitales Lernen und verschobene Abiturprüfungen, Kurzarbeiterregelungen, Pleiten – aber auch: Solidarität. …

Felix sieht im TV, dass Covid-19, die vom Virus verursachte Lungenkrankheit, besonders schlimm in Italien wütet und sehr viele Menschen daran sterben, das dass medizinische Personal in den Intensivstationen der Kliniken am körperlichen und seelischen Limit arbeitet. In diesem Zusammenhang lernt Felix das Wort „Triage“ kennen. Es kommt aus der Militärmedizin und meint die Auswahl der Betroffenen zur Behandlung in Großschadensfällen.

So schwer die Situation für die Italiener auch sein mag, umso leichter sind die Videos, die auf Twitter und Facebook um die Welt gehen: Die Leute in den Sperrzonen von Rom, Turin, Mailand und Neapel stehen singend an ihren Fenstern oder auf ihren Balkon und trotzen der Isolation mit ihren straßenweiten Chören. Balconi d’Italia in musica! Das amüsiert Felix.

Rührend auch zu sehen, wie letzten Sonntag Papst Franziskus zu Fuß alleine – hinter ihm in gebührendem Abstand fünf Sicherheitsleute – vom Vatikan durch eine menschenleere Straße in die Kirche San Marcello al Corso geht, um vor dem Pestkreuz für ein Ende der Corona-Pandemie zu beten.

 

 

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