Illustrierte Kürzestgeschichten
Inspiriert durch gefundene Einkaufszettel –
wöchentlich erzählt von März 2019 bis Juli 2020.
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Corona-Solidarität
Anton, eigentlich Antonius, alleinlebender
Witwer, schreibt zum ersten Mal einen Einkaufszettel – dies’ Kulturdokument des
Konsums, der Vorratshaltung und der Alltagshandschrift – nicht per Hand,
sondern mit dem PC. Das ist bemerkenswert – und das kommt so: Antons Vorräte
sind aufgebraucht. In seinem GMX-Account wird ihm die Webseite coronaPort.de angezeigt,
auf der man Einkaufshilfe suchen und anbieten kann. Auf dieser Webseite,
differenziert nach Städten, Hilfsangeboten, Einsatzbezirken, Adressen sieht er
sich um und mailt dann einer Frau mit Vornamen Maria in seiner Nähe, dass er an
ihrer Einkaufshilfe interessiert sei.
Als Anton kurze Zeit später mit seinem in Brüssel
lebenden Sohn telefoniert, rät der ihm, doch lieber seine Nichten in Berlin
anzumailen und zu fragen, ob sie für ihn einkaufen könnten; die würden ihm doch
bestimmt gerne helfen. Gute Idee, denkt Anton und mailt den Vieren seine Bitte.
Kaum hat er die Mail abgesandt, geht das
Telefon und fragt der neue Nachbar von oben aus dem Haus – ein
Zahnmediziner-Ehepaar mit zwei Vorschulkindern – ob sie für ihn einkaufen
könnten, sie hätten ein Auto zur Verfügung. Darüber freut sich Anton sehr, denn
so braucht er weder die fremde Frau von coronaPort.de, noch die Nichten zu bemühen.
Als er wie üblich auf einem 10 x 10 cm-Zettel
aufschreiben will, was ihm die freundlichen Nachbarn vom Bio-Supermarkt mitbringen
könnten, wird ihm klar, dass er seinen Einkaufszettel mit dem PC tippen muss,
um ihn den Nachbarn mailen zu können. Seine Einkaufsliste wird nicht nur wegen
seiner aufgebrauchten Vorräte, sondern auch wegen des DIN 4-Formats sehr
umfangreich. Er mailt die Liste an die Nachbarn. – Mittlerweile haben die vier
Nichten Anton zurückgemailt; zwei sind nicht in Berlin, eine will gerne
einkaufen und die vierte wird erst am Sonntag aus Kuba zurückkommen.
Am Nachmittag ruft ihn der Nachbar von oben
an; der Einkauf hänge an seiner Wohnungstür, aber man habe nur wenig Gemüse
bekommen, die Regale im Biosupermarkt seien leer gekauft; sie wollten aber noch
zu EDEKA. Anton bedankt sich herzlich und bittet um die IBAN der Nachbarn. Nach
dem Auspacken des Einkaufs tippt er noch eine EDEKA-Einkaufsliste für die Nichte
Charlotte ein.
Abends telefoniert der Zahnmedizin-Nachbar,
der neue Einkauf stehe vor seiner Tür. –
Die fremde Maria von
klick!
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