Illustrierte Kürzestgeschichten
Inspiriert durch gefundene Einkaufszettel –
wöchentlich erzählt von März 2019 bis Juli 2020.
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Flo und die Griffel
Juliyas ukrainisch-kyrillische Schrift ist zwar nicht ganz
so schön wie die von Flo, aber sie erinnert mich an ihn, an Flo Tr.1
Flo kam 1954/55 in unsere Klasse im naturwissenschaftlichen
Couven-Gymnasium in Aachen. Flo war in der Sowjetunion in die Schule gegangen.
In Mathematik war er sehr gut, aber in Deutsch hatte er Probleme. Obwohl Flo
ein guter Kumpel war, blieb er in der Klasse Außenseiter.
Was mir sofort auffiel: Wenn Flo etwas an die Klassentafel schreiben musste, schrieb er in einer exakten lateinischen Schreibschrift, in Schönschrift – so schön, dass ich es wie gedruckt empfand. Auch wenn ich ihn bat, etwas Russisch-Kyrillisches zu schreiben, schrieb er mit dieser besonders schönen Schreibschrift.
In meinem späteren Leben wurde ich immer, wenn ich
russische Handschriften sah, an die schöne Schreibschrift von Flo erinnert.
Offenbar erwerben in Russland und anderen slawischen Ländern noch heute alle
eine besonders gleichmäßige schöne kyrillische Handschrift.
Vielleicht würde auch in Deutschland noch heute, wie in
meiner Kindheit, schön geschrieben, wenn es im Laufe der Jahre nicht so viele
Reformen des Schriftlernens im Schulunterricht gegeben hätte. Die erste Reform,
von der die Jahrgänge um 1960 herum betroffen waren, bestand in der Abschaffung
des Schreiblernens mit Griffel auf Schiefertafel, Mitte der sechziger Jahre. Was
davon blieb: Der Spruch „Schwamm drüber!“
An dieser Stelle werfe ich einen Blick ins Internet und
stoße unter www.schiefertafel-griffel.de auf
Tafeln und Griffel. Dort
lese ich: „Schiefertafel und Griffel/Kunstgriffel
werden auch heute wieder in der Grundschule verwendet. Durch das langsame
Schreiben bedingt durch die „raue“ Oberfläche des Schiefers im Gegensatz zum
stark geleimten (sehr glatten) Papier prägt sich die Schrift gut ein, und der
Schüler entwickelt eine schöne Handschrift. Außerdem können Fehlversuche
einfach feucht ausgewischt werden.“
Ja, ja, so sehe ich das auch.
[1]
Flos Vater war der Ingenieur Dr. Wolf Tr., der dem Heereswaffenamt 1936 eine
Kombination aus Granate und Strahltriebwerk vorgeschlagen hatte, und der infolgedessen
bis 1944 an einem unbemannten Überschallflugkörper zur Überquerung des
Atlantiks arbeitete. Tr. fiel bei Kriegsende in sowjetische Hände und arbeite
bis 1952 an seinen Plänen. Spätere sowjetische Interkontinental-Flugkörper
weisen große Ähnlichkeit mit dem von Tr. entwickelten Interkontinentalflugkörper
auf. Siehe dazu:
www.fliegerrevuex.aero/mach-35-interkontinentalflugkoerper-der-luftwaffe-1944/
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