Freitag, 7. Januar 2022

 Illustrierte Kürzestgeschichten

Inspiriert durch gefundene Einkaufszettel –

wöchentlich erzählt von März 2019 bis Juli 2020.

 

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Tabea Feuerhahn

 

So lange nichts von Tabea Feuerhahn gehört und gesehen! Was mag mit ihr los sein?

Nach dem Abitur war sie zwei Jahre als Au-pair unterwegs, erst ein Jahr in Paris, dann ein Jahr in London. Damals traf ich sie im Café Lula in Friedenau am Breslauer Platz. Sie schwärmte von London und der französischen Familie, deren zwei Jungens sie in London betreute. Sie sprach mit den Knaben Michel und Tom, sechs und acht Jahre alt, englisch, während die Eltern mit ihren Söhnen französisch sprachen.

Später erfuhr ich von einer befreundeten Friedenauer Kollegin und Zeichnerin, Tabea habe nach ihrer Rückkehr aus London keine Lust mehr auf ein Studium gehabt. Sie hätte unbedingt etwas Praktisches, „etwas mit den Händen“, machen wollen und sie habe zwischen Zimmermannfrau oder Schreinerin geschwankt. Da wir lange nichts mehr von Tabea hörten, nahmen wir an, dass sie als Zimmermannfrau auf Walz war. Wir verloren sie aus den Augen.

Als ich 2018 auf der dritten Seite im Tagespiegel den sensationellen Bericht mit Bild über die junge Frau las, die ohne Hilfsmittel und nur mit bloßen Händen verbotenermaßen am Südturm des Kölner Doms bis auf die oberste Spitze der Kreuzblume geklettert war, erkannte ich sie. Das war Tabea! Wer sonst schon war so todesmutig und tollkühn?!

Ich wollte ihr schreiben und ihr zu dieser Leistung gratulieren, aber ich hatte ihre Adresse nicht.

Also verlor ich sie wieder aus den Augen. Und sah sie wieder – in einem 3sat-auslandsjournal-extra-Bericht aus London. Nur flüchtig, aber sie war es – von Kopf bis Fuß in Blau mit gelben Sternen. Breite blaue Europa-Baskenmütze, gelbe Sterne auch auf der Schlaghose, stand sie da mit einem Pro-Remainer-Plakat vor dem Westminster Palace und schrie mit allen anderen „Stop Brexit“. Sie war also wieder in Great Britain und kämpfte für Europa! Was sie wohl arbeitete, womit sie Geld verdiente, fragte ich mich.

Und dann das! Bei EDEKA gab mir die Angestellte, die manchmal an der dem Eingang nächstgelegenen Kasse sitzt, einen gefundenen Einkaufszettel. Ich blickte auf den Zettel, sah die Schrift, und es durchzuckte mich wie ein Blitz. Tabea hatte diesen Zettel geschrieben! Unter Tausenden erkenne ich Tabeas typische Handschrift.

War sie wieder in Berlin, noch dazu hier in Friedenau? Hatte sie resigniert, weil BoJo, der Oberbrexiteer, die britischen Wahlen gewonnen hatte und nun den Brexit durchziehen würde?

Ja, glasklar, das war Tabea! Natürlich hatte sie wie immer Corned Beef und Snyders Pretzel pieces, aufgeschrieben, vor allem natürlich ihre geliebten Hot Buffalo Wings und die Salted Caramels.

Diese Notizen bedeuteten mir die letzte Gewissheit: Tabea Feuerhahn war wieder in Berlin, und ich musste sie so schnell wie möglich finden.

Ich armer alter Zausel - bald 82 - war noch immer verliebt in Tabea Feuerhahn!

 

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