Freitag, 12. November 2021

 

Illustrierte Kürzestgeschichten

Inspiriert durch gefundene Einkaufszettel –

wöchentlich erzählt von März 2019 bis Juli 2020.

 

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Familie Dr. med. Aleksander Kulikow

 

Barbara muss unbedingt darauf achten, dass immer genügend weißer geräucherter Speck im Kühlschrank ist. Denn Aleksander, Barbaras Ehemann, 43 Jahre alt, ein 1996 in die BRD „eingewanderter russischer Staatsbürger deutscher Abstammung“, wie er sich launig manchmal vorstellt, braucht den fetten weißen Speck zum Naschen und Entspannen, wenn er aus der Praxis nach Hause kommt.

Aleksander arbeitet nicht nur in seiner Praxis, sondern auch im Vorstand des ZIKS (Zahnärzte Initiative Köln-Süd) im DZV (Deutscher Zahnärzte Verband e.V.).

Aleksander spricht mit Nina russisch, damit sie zweisprachig aufwächst, schließlich hat er seine Russischkenntnisse in Deutschland als wertvollen Teil seines Humankapitals zu schätzen gelernt. Aleksander und Barbara investieren in Bildung, in Sprachen, Klavier, Ballett.

Barbara bringt Nina freitags zum „kreativen Kindertanz“ ins Tanzhaus auf der Aachener Straße. Später soll Nina auch mit klassischem Ballett anfangen.

Barbara ist jetzt Nurhausfrau – früher war sie zahnmedizinische Fachangestellte in Düsseldorf, wo sie Aleksander kennenlernte; seit ihrem gemeinsamen Leben in Lövenich besucht sie Russisch-Kurse in der Kölner Volkshochschule. Neuerdings bringt sie Nina, die erst nächstes Jahr in die Schule kommt, das Schreiben bei.

Nina sieht Barbara schreiben, drängt sich zu ihr auf den Schoß und sagt: „Я тоже хочу писать!“1 Da schreib Barbara für Nina ganz langsam und in Druckbuchstaben SPECK auf ihren Einkaufszettel und spricht es aus.

Plötzlich fragt Nina: „Мама, почему папа всегда ест сало? Почему он не хочет мюсли?“2

Abends, als Nina schläft und Barbara Aleksander seinen Happen Speck auf einer halben Scheibe Graubrot mit Früh-lingszwiebel hinstellt, fragt sie ihn danach, was Russen so im Allgemeinen eigentlich frühstückten.

Aleksander erklärt, dass ein traditionell russisches Frühstück Porridge – Haferbrei oder Grieß –, Tee und ein Butterbrot mit Käse oder Aufschnitt umfasst.

Aber er bestehe auf SPECK. – Das habe er vom Großvater.



 



1  Ya tozhe khochu pisat'! (= dt. Ich will auch schreiben!)

2  Mama, pochemu Papa vsegda est salo? Pochemu on ne khochet mjusli? (= Mama, warum isst Papa immer Speck? Warum mag er kein Müsli?)

 

 

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