Illustrierte Kürzestgeschichten
Inspiriert durch gefundene Einkaufszettel –
wöchentlich erzählt von März 2019 bis Juli 2020.
Philipps
Amorphophallus
Frisch rasiert – der neue Rasierschaum ist klasse! –
sitzt Philipp auf seinem kleinen Balkon am Südwestkorso. Es ist ruhig, sehr
warm und dunkel, nur sein solar gespeistes Einmachglas spendet gemütliches
Balkonlicht. Wie schon vorgestern trinkt er einen Cocktail mit Batida de
Coco, braunem Zucker, Pepsi, Limetten. Er übt das Drinkmixen,
schließlich möchte er einen Unforgettable Party-Drink hinkriegen. Gestern Abend
hat er schon einen Cocktail gemixt, aber den fand er nicht so super. Heute hat
er einen nach einem Rezeptvideo im Internet gemixt; so tastet sich Philipp an
beste und wirksamste Drinks heran.
Philipp ist Student und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der staatlichen Beuth Hochschule für Technik Berlin. Er studiert „Gartenbauliche
Phytotechnologie“, ein
Masterstudiengang am Fachbereich V mit dem Abschluss (B. Sc.) Bachelor of
Science.
Seitdem Philipp seine Nachbarin Yasemin zufällig auf einer
Party von Kollegen kennengelernt hat, ist er schwer in sie verliebt. Yasemin Eren
heißt sie, und sie studiert wie er an der Beuth Hochschule, im Studiengang
Geoinformation. Sie wisse noch nicht, wo sie hinwolle, zur Kartographie oder
zur Vermessungstechnik.
Yasemin wohnt wie er in Schöneberg, gar nicht so weit weg.
Philipp will sie einladen, um ihr seinen eineinhalb Meter hohen Amorphophallus zu
zeigen und um eventuell mit ihr dessen Aufblühen zu beobachten. In den nächsten Nächten ist es so
weit. Aber der Duft des Amorphophallus
ist natürlich sehr unangenehm. Er stinkt fürchterlich, nach Verwesung, nach Tod
und Jauche. Kann er ihr diesen Gestank zumuten? Soll er das wirklich
versuchen? Andererseits, wenn sie den nicht aushalten kann, ist sie auch nicht
die Richtige für ihn.
O! Es ist soweit, das Blütenblatt beginnt sich zu öffnen!
Philipp ruft Yasemin Eren an. Ob sie Lust habe, das Öffnen seines
Amorphophallus mit zu erleben? Er hat Glück, sie ist am Apparat.
Philipp jubelt innerlich. Ja, hat Yasemin gesagt, in zehn
Minuten könne sie bei ihm sein.
Es brummt. Er öffnet die Tür. Yasemin steht in heller
Sommerbluse und Jeans vor ihm. Er führt sie in die Küche, mixt gekonnt und
schnell seinen „Unforgettable“, führt sie zum kleinen Balkon. Beide prallen zurück.
Der Amorphophallus verströmt seinen Pestgestank – und
Philipp wendet sich um – und sie küssen einander, während sie noch die Gläser
mit seinem Unforgettable in Händen halten.
klick!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen