Sonntag, 28. November 2021

 Illustrierte Kürzestgeschichten

Inspiriert durch gefundene Einkaufszettel –

wöchentlich erzählt von März 2019 bis Juli 2020.

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Philipps Amorphophallus

Frisch rasiert – der neue Rasierschaum ist klasse! – sitzt Philipp auf seinem kleinen Balkon am Südwestkorso. Es ist ruhig, sehr warm und dunkel, nur sein solar gespeistes Einmachglas spendet gemütliches Balkonlicht. Wie schon vorgestern trinkt er einen Cocktail mit Batida de Coco, braunem Zucker, Pepsi, Limetten. Er übt das Drinkmixen, schließlich möchte er einen Unforgettable Party-Drink hinkriegen. Gestern Abend hat er schon einen Cocktail gemixt, aber den fand er nicht so super. Heute hat er einen nach einem Rezeptvideo im Internet gemixt; so tastet sich Philipp an beste und wirksamste Drinks heran.

Philipp ist Student und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der staatlichen Beuth Hochschule für Technik Berlin. Er studiert „Gartenbauliche Phytotechnologie“, ein Masterstudiengang am Fachbereich V mit dem Abschluss (B. Sc.) Bachelor of Science.

Seitdem Philipp seine Nachbarin Yasemin zufällig auf einer Party von Kollegen kennengelernt hat, ist er schwer in sie verliebt. Yasemin Eren heißt sie, und sie studiert wie er an der Beuth Hochschule, im Studiengang Geoinformation. Sie wisse noch nicht, wo sie hinwolle, zur Kartographie oder zur Vermessungstechnik.

Yasemin wohnt wie er in Schöneberg, gar nicht so weit weg. Philipp will sie einladen, um ihr seinen eineinhalb Meter hohen Amorphophallus zu zeigen und um eventuell mit ihr dessen Aufblühen zu beobachten. In den nächsten Nächten ist es so weit. Aber der Duft des Amorphophallus ist natürlich sehr unangenehm. Er stinkt fürchterlich, nach Verwesung, nach Tod und Jauche. Kann er ihr diesen Gestank zumuten? Soll er das wirklich versuchen? Andererseits, wenn sie den nicht aushalten kann, ist sie auch nicht die Richtige für ihn.

O! Es ist soweit, das Blütenblatt beginnt sich zu öffnen! Philipp ruft Yasemin Eren an. Ob sie Lust habe, das Öffnen seines Amorphophallus mit zu erleben? Er hat Glück, sie ist am Apparat.

Philipp jubelt innerlich. Ja, hat Yasemin gesagt, in zehn Minuten könne sie bei ihm sein.

Es brummt. Er öffnet die Tür. Yasemin steht in heller Sommerbluse und Jeans vor ihm. Er führt sie in die Küche, mixt gekonnt und schnell seinen „Unforgettable“, führt sie zum kleinen Balkon. Beide prallen zurück.

Der Amorphophallus verströmt seinen Pestgestank – und Philipp wendet sich um – und sie küssen einander, während sie noch die Gläser mit seinem Unforgettable in Händen halten.

 

 

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