Illustrierte
Kürzestgeschichten
Inspiriert durch gefundene Einkaufszettel –
wöchentlich erzählt von März 2019 bis Juli 2020.
Marthas unbegreiflicher Weinkrampf
Die Wocheneinkäufe planen sie samstagmorgens beim
Frühstück. Martha schreibt auf und kauft dann bei REWE ein, während Svenja auf
den Wochenendmarkt geht. Martha nimmt den Wocheneinkaufsplan zum Einkauf mit,
Svenja, die Spontane, braucht keinen Einkaufszettel.
Beide habe ein ziemlich spleeniges Hobby: Sie sammeln gefundene
Einkaufszettel. An gemeinsamen Samstagabenden – bei ein oder zwei Flaschen
Rotwein und Kerzen – kommt es vor, dass sie die gefundenen Einkaufszettel in
ein altes leeres, ledergebundenes Fotoalbum einkleben, sie gemeinsam
interpretieren und sich an ihren Spekulationen amüsieren.
Samstagabend. Der Einkaufszettel, den Martha heute bei
REWE gefunden und ohne ihn zu lesen, schnell eingesteckt hat, dieser Zettel,
den beide nach erster Sichtung wegen der kultivierten
Intellektuellen-Handschrift, der Wochentagskürzel Sa, So, Mo zu Anfang und
der nicht ganz leicht zu entziffernden Notizen fürs Erste recht komplex finden,
löst urplötzlich bei Martha – einen Weinkrampf aus. „Was ist los?“ Svenja
erschrickt. Fest umarmt sie Martha. Löst sich, holt Svenjas Kuscheltier. – Svenja
gelingt es nicht, Martha zu beruhigen.
Zusammengekauert auf dem Teppich – ohne ein Wort – weint
Martha, laut und haltlos. Nach fast einer Stunde beherzter und liebevoller
Bekümmerung selbst aufgelöst, wählt Svenja schließlich die Notarzt-Nummer.
Als die Männer vom Roten Kreuz Martha mit der Bahre auf
die blau beflackerte Straße zu ihrem Rettungswagen tragen, hört die nebenher
laufende Svenja aus Marthas Weinkrampf die ersten leise stoßenden Worte heraus:
Tastatur
für Mama …
Svenja steigt mit dem Arzt vom Notdienst in den Rote-Kreuz-Wagen. Sie weiß, dass sie den Arzt in der Rettungsstation im Gertrauden Krankenhaus aufklären muss – über Marthas berufliche Situation, über Marthas Belastung als allein verantwortliche Hausmeisterin zweier Schulen – der Stechlinsee-Grundschule und dem benachbarten Rheingau-Gymnasium.
Was für eine verrückte Geschichte, denkt Svenja später im
Bett – was bedeutet für Martha dieses ominöse Tastatur für Mama, das doch vielleicht nur „Tartar
für Mama“ heißt?
Das muss Marthas Psychologin rauskriegen.
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