Montag, 10. Januar 2022

 Illustrierte Kürzestgeschichten

Inspiriert durch gefundene Einkaufszettel –

wöchentlich erzählt von März 2019 bis Juli 2020.

 

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 In Menden


Björn erkennt sofort, dass es sich um einen Einkaufszettel handelt, nimmt ihn auf, überfliegt ihn, liest die Worte Duschgel und Rasierschaum, ist davon wie elektrisiert, legt aber den Zettel wieder aufs Pflaster, vorsichtig und jetzt auch ein wenig komponierend – schräg gegen schräg – zieht das Smartphone aus der Hosentasche und fotografiert den Einkaufszettel auf dem Pflaster. Dieses Foto will er am Nachmittag auf seinem Foto-Blog veröffentlichen. Den Zettel hebt er auf und wirft ihn in den nächsten Abfalleimer.

Björn (52), groß und hager, mit Brille, skeptisch-wachen Augen, auf Selfies immer grimassierend, ein Sprachspieler, Wortzauberer, Erzähler und Dichter – er nennt sich selbst schlicht „Autor“ – verdient sein Geld als Grafikdesigner, arbeitet sich an typografischen Aufträgen ab und entwickelt mit und für seine mittelständische Kundschaft komplette Logosysteme etc. – Zu seinem Vergnügen schreibt er humorvolle Nonsensgedichte, reimt kluge satirische Texte zum Lauf von Welt und Gesellschaft und sendet sie an eine Hauptstadtzeitung, die seine Werke alle Donnerstage veröffentlicht. Außerdem kümmert er sich täglich um die Internetpublikation seiner permanent frisch sprießenden Ideen, indem er seinen Foto-Blog betreibt und seine Webseite mit neuen Texten und Zeichnungen pflegt.


Björn liebt Tanja.

Tanja (51), ein bisschen rundlich, Lachgrübchen, immer vergnügt, ist Produktdesignerin. Tanja verdient seit drei Jahren recht gut an den von ihr designten Sporttaschenkollektionen, die sie aus dem Stoff und dem Leder alter ausgemusterter Sportmatten und aus ausrangierten Feuerwehranzügen von einer kleinen Werkstatt herstellen lässt. Drei Läden, je einer in Dortmund, Köln und Berlin verkaufen ihre Taschen mit sehr gutem Erfolg, ja die Läden würden Tanja noch mehr Ware abnehmen, ließe sie nur mehr Sporttaschen produzieren.

Björn und Tanja sind in Menden geboren und aufgewachsen, sind unabhängig voneinander zwecks Ausbildung ein paare Jahre zwischen Menden und Dortmund gependelt und leben seitdem zusammen in Menden.

Sie mögen Menden, seine Atmosphäre, die Mendener Altstadt, die kleinen restaurierten Fachwerkhäuser, die stillen Gassen, Mendens Ruhe und Bescheidenheit.

Wenn Björn und Tanja samstags mit den Einkäufen nach Hause gekommen, alles verstaut und aufgeräumt haben und bei einer Tasse Kaffe beisammen sitzen, berichten sie einander, was sie beim Einkaufen im Zentrum Mendens gesehen, gehört, erlebt, gedacht und empfunden haben.

Björn und Tanja sind sich mit Loriot einig:

„Ein Leben außerhalb von Menden ist möglich, aber sinnlos.“

 

 

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